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6.1 Die dritte Reformation

Die dritte Reformation - Die Wiederentdeckung der neutestamentlichen Gemeindestruktur
(von Wolfgang Simson)

1. Reformation (Die Reformation der Theologie): Luther entdeckt die Erlösung durch die Gnade und den Glauben wieder.

2. Reformation (Die Reformation der Spiritualität):
Seit dem 17.Jahrhundert entdecken Erneuerungsbewegungen -wie z.B. der Pietismus- die Wichtigkeit der persönlichen Gottesbeziehung des Einzelnen wieder.

3. Reformation (Die Reformation der Struktur):
Heute - Wiederentdeckung der Strukturen, wie sie in den Anfängen der Gemeinden seit Pfingsten üblich war.

Die drei Stufen der Gemeinde:
Hausgemeinden, Stadtgemeinden und die weltweite Gemeinde

In dieser kurzen Ausarbeitung wird untersucht, in welchen strukturellen Formen sich die Christen im 1.Jahrhundert nach Christus trafen. Wir haben den Eindruck, dass Gott heute dabei ist, ganz neu zu zeigen, wie er sich die Struktur seiner Gemeinde vorgestellt hat.

1. Hausgemeinden in den Briefen des Paulus

Dass die Christen sich in den ersten Jahrhunderten n.Chr. in ihren Häusern trafen, kann man neben den Berichten aus den Evangelien und aus der Apostelgeschichte auch aus den Briefen des Apostel Paulus erkennen. Vier Bibelstellen aus den Briefen erwähnen ausdrücklich Gemeinden in privaten Häusern: Bei den ersten beiden Stellen geht es um das Haus von Prisca und Aquila. (Paulus in Röm 16,3-4):

"Grüßet Prisca und Aquila, meine Mitarbeiter in Christus Jesus, welche für mein Leben ihren Nacken dargeboten haben, denen nicht allein ich danke, sondern auch alle Gemeinden der Heiden; grüßet auch die Gemeinde in ihrem Hause."

1.Kor 16,19: „Es grüßen euch die Gemeinden in Asien. Es grüßen euch vielmals im Herrn Aquila und Priscilla samt der Gemeinde in ihrem Hause.“

In dem Brief des Paulus an die Kollosser wird die Hausgemeinde des Nymphas erwähnt.

Kol 4,15: „Grüßet die Brüder in Laodizea und den Nymphas und die Gemeinde in seinem Hause.“

Auch Philemon hatte eine Gemeinde in seinem Haus. Phlm 1-2:

"Paulus, ein Gebundener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, an Philemon, den geliebten und unsren Mitarbeiter; und an Apphia, die geliebte, und Archippus, unseren Mitstreiter, und an die Gemeinde in deinem Hause."

Die Christen trafen sich also in ihren Häusern.

Dort spielte sich ein Großteil des Gemeindelebens ab. Hier hatten sie Gemeinschaft, aßen zusammen, halfen, ermutigen einander und "machten" Jünger.

Neben diesen Treffen, die die Größe hatten, in ein damaliges Wohnhaus zu passen, kamen die Christen auch zu größeren Treffen zusammen.

2. Die Stadtgemeinde
Wir wissen aus dem neuen Testament, dass sie sich zu bestimmten Anlässen als Christen einer Stadt und einer Region versammelten.

Diese Stadtgemeindetreffen, bei denen die Christen aus allen Hausgemeinden zusammen kamen, fanden z.B. in Antiochia und in Jerusalem statt.

Von den Gemeinden in Korinth, in Kolossä, in Laodizea und Thessaloniki lesen wir, dass die Briefe des Apostels „allen heiligen Brüdern“ der jeweiligen Stadt vorgelesen wurden. Das Neue Testament gibt keine Auskunft darüber, wo sich die Menge der Gläubigen (die Gesamtheit der Hausgemeinden = die Stadtgemeinde) traf.

Wahrscheinlich wird es nicht erwähnt, weil der Ort unwichtig ist. Es muss ganz einfach ein für die Menge der Gläubigen geeigneter Ort gewesen sein.

Es wird lediglich von einigen verschiedenen Orten berichtet: die Christen trafen sich im Tempel (der 70 n.Chr. zerstört wurde und nicht wieder aufgebaut wurde - Apostelg. 2,46 + 5,42), in einer Philosophen-Schule (Apg. 19,9) oder auch im Obergemach eines Hauses (Apg. 28). Von einem Kindergottesdienst, wie er bei uns üblich ist, lesen wir nichts im Neuen Testament. Die geistliche Erziehung der Kinder erfolgte in der Familie. Die Eltern waren für die Jüngerschaft der Kinder zuständig und verantwortlich. Außerdem erlebten die Kinder in der Hausgemeinde, wie Christsein im Alltag gelebt wurde. In diesem Beziehungsgefüge erlebten sie bei sich zu Hause, wie für Kranke gebetet wurde, wie das Abendmahl gefeiert wurde, wie man Gottes Wort las, wie man miteinander teilte und mit Freunden gemeinsame Mahlzeiten zu sich nahm.

Interessant ist, dass nirgendwo im neuen Testament berichtet wird, dass Christen eine Kirche oder ein Gemeindehaus bauten!

Und dies, trotz der vorhandenen Bautradition: die Juden bauten Synagogen, die Heiden bauten Tempel, aber die Christen bauten keine Kirchen. Nach Derek Prince fand erst im Jahre 222 n.Chr. der Bau der ersten Kirche statt – also rund 200 Jahre nach Pfingsten. Welche Bedeutung hat diese Tatsache für uns heute?

Kommen wir zurück zu den stadtweiten Treffen der Christen. Sie fanden, wie gesagt, an geeigneten Plätzen statt -wie oft und ob regelmäßig, ist nicht bekannt. Derek Prince berichtet von Studien, die besagen, dass die Gemeinde in Antiochia zu der Zeit als Paulus und Barnabas dort wirkten, ca. 40.000 Christen umfasste. Sie kamen wahrscheinlich nicht immer alle in dieser Anzahl zusammen. Aber wenn nur die Hälfte der Gläubigen zu diesen stadtweiten Veranstaltungen kam, waren es immerhin ca. 20.000 Leute.

Die Größe der damaligen Gemeinde in Jerusalem wird auf 50.000 geschätzt, die in Korinth auf ca. 25.000.

Wo stehen die neutestamentlichen Belege für diese Gesamttreffen? Für Antiochia: Paulus und Barnabas kehren nach der ersten Missionsreise nach Antiochia zurück: Apg 14,27:"Als sie aber angekommen waren, versammelten sie die Gemeinde (Singular!) und erzählten, wieviel Gott mit ihnen getan und dass er den Heiden die Tür des Glaubens aufgetan habe."

Von einem weiteren Treffen in Antiochia wird berichtet, als Paulus und Barnabas mit den Beschlüssen des ersten Apostelkonzil in Jerusalem in die Stadt kamen (Apg 15,30).

Auch aus Jerusalem wird berichtet, dass die Menge der Gläubigen zusammen kam, um Paulus berichten zu hören. (Überhaupt ist es interessant, mit Hilfe einer Konkordanz zu erforschen, wann im Neuen Testament "die Menge" zusammen kam. Einige Beispiele dafür: Apg 21,22; Apg.15,4; Apg.15,12.)

Ein weiterer deutlicher Hinweis, dass Gott die Gesamtheit der Christen einer Stadt als Einheit sieht, geht auch aus dem 2.und 3.Kapitel der Offenbarung hervor. Die hier beschriebenen Sendschreiben sind jeweils für den gesamten Leib Christi in jeder der sieben Städte bestimmt.

Im Brief des Paulus an die Epheser kommt Gottes Plan für die lokale Stadtgemeinde klar zum Ausdruck: (Eph 4,1-6)

"So ermahne ich euch nun, ich, der Gebundene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, zu welcher ihr berufen worden seid, so dass ihr mit aller Demut und Sanftmut, mit Geduld einander in Liebe ertraget und fleißig seid, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens:
ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, über allen, durch alle und in allen."

Die Christen in Ephesus mussten damals schon von Paulus ermahnt werden, sich nicht in einzelne Gruppierungen zu spalten. Eine Stadt (Ephesus) sollte nur eine Gemeinde haben, in der alle Christen Teil des lokalen Leibes Christi waren (eine stadtweite Gemeinde, die aus der Summe der wiedergeborenen Christen bestand).

Paulus erinnert sie daran, dass es nur einen Herrn und eine Gemeinde gibt.

Für Paulus ist es demnach selbstverständlich, dass neben den Hausgemeinden die Gesamtheit aller Gläubigen einer Stadt den lokalen Leib Christi bilden: (Kol 4,16)

„Und wenn der Brief bei euch gelesen ist, so sorget dafür, dass er auch in der Gemeinde zu Laodizeagelesen werde und dass ihr auch den aus Laodizea leset.“ (siehe auch: 1.Thess 5,27)

Bei anderen Briefen wird schon in der Anrede deutlich, dass für Paulus die Vereinigung der Christen zu einer lokalen Gemeinde selbstverständlich ist:

Korinth (Griechenland): (1.Kor 1,1-2)
„Paulus, berufener Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen, und Sosthenes, der Bruder, an die Gemeinde (Singular!) Gottes, die in Korinth ist, an die Geheiligten in Christus Jesus, an die berufenen Heiligen, samt allen, die den Namen unsres Herrn Jesus Christus anrufen an jedem Ort, bei ihnen und bei uns.“
(zur Erinnerung: Die Gemeinde in Korinth Bestand zu dieser Zeit aus ca. 25.000 Christen) (siehe auch: Eph 1,1; Röm 1,7; Philipper 1,1).

Im 11. Kapitel des ersten Korintherbriefes wird deutlich, dass die Gesamtheit der Christen als lokaler Leib Christi (Stadtgemeinde) zusammenkam. Dies wird deutlich, weil Paulus sagt, dass die Christen in ihren Häusern ihren Hunger stillen sollten und dann gemeinsam das Abendmahl als lokaler Leib Christi würdig feiern sollten (Vers 33).

1.Kor 11,18 "Denn erstens höre ich, dass, wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt, ...
20.Wenn ihr nun auch
am selben Orte zusammenkommt, so ist das doch nicht, um des Herrn Mahl zu essen...
22.Habt ihr denn keine Häuser, wo ihr essen und trinken könnt? ...
33.Darum, meine Brüder, wenn ihr zum Essen (Abendmahl) zusammenkommt, so wartet aufeinander! 34.Hungert aber jemand, so esse er
daheim, ... (das heißt im Umkehrschluss, dass die Versammlung als lokales Treffen der Christen -als Gesamtgemeinde- in Korinth stattfand).

Die drei biblischen Ebenen der Gemeinde:
- Die einzelnen Christen waren also Teil einer Hausgemeinde
- des lokalen Leibes Christi (der Stadtgemeinde/ das Treffen der Christen)
- des weltweiten Leibes Christi (der Braut).

Bibelstellen zur Existenz der Gemeinde als weltweiter Leib Christi (die Braut):
Ps 45,10; Jes.62,5; 2.Kor.11,2; Offb.19,7-9; Offb.21,9; Offb.22,17.

Fünf Thesen über die Entwicklung der Gemeinde:
- Die Bedeutung der verschiedenen Kirchen, Konfessionen und Denominationen wird abnehmen. (Epheser 4,13)

- Das allgemeine Priestertum wird neu entdeckt und gelebt werden. (1.Petrus 2,9; Off.1,6 ; Off. 5,10)

- Erweckte Gemeinden werden sich freundschaftlich vernetzen.

- Die Hausgemeinden werden wiederhergestellt.

- Die Gottesdienste der einzelnen Kirchen und Gemeinschaften werden an Bedeutung verlieren.

- Eine andere Form der Treffen wird wiederentdeckt werden:
Christen einer Stadt werden zusammenkommen, um von Apostel, Propheten, Lehrern, Evangelisten, Hirten Dienste zu empfangen (Epheser 4,11) und um miteinander Abendmahl zu feiern (1.Korinther 11,18).

Zusammenfassung:
Die Haupterkenntnis ist, dass die Christen sich früher in zwei strukturellen Formen trafen:
regelmäßige Treffen in privaten Häusern (Hausgemeinden) und
b) Gesamttreffen als Christen einer Stadt.


Literatur:
- Derek Prince: Vortragsserie "Die Gemeinde".
- Tim Dowley (Hrg.): Handbuch- Die Geschichte des Christentums.
- Joachim Gnilka: Die frühen Christen(Herders Theologischer Kommentar).
- Wolfgang Simson: Häuser, die die Welt verändern.